Die Siedlung Hardturm des Kraftwerks 1 gilt als Meilenstein des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Zürich. Vor 25 Jahren, beim Bau, waren die Gemeinschaftsflächen bewusst noch nicht definitiv gestaltet worden, da die Bedürfnisse der Bewohnerschaft noch unklar waren. Nun wurden diese gemeinschaftlichen Räume – innen wie aussen – angegangen. Die karge Dachterrasse ist zur grünen Oase, geworden, die abweisende Erschliessungszone auf dem Boden zu einem grünen Wohnhof mit vielfältigen Aufenthaltsmöglichkeiten. Durch Umnutzung und Ergänzung des Vorgefundenen ist neuer Lebensraum für Mensch, Flora und Fauna entstanden: zeitgemäss, klima-, gesellschafts- und umweltwirksam.
Am Anfang stand ein Spagat: Ein kleines Budget auf der einen Seite, viel Aufwertungspotenzial und eine lange Wunschliste auf der anderen. Weniger Infrastruktur und Versiegelung, mehr Raum für Gemeinschaft im Freien, mehr Schatten und Vegetation und eine einladendere Eingangssituation waren nur einige der Wünsche. Definiert und präzisiert wurden diese Wünsche in einem umfassenden partizipativen Prozess mit der Genossenschaft. Daraus ergaben sich zwei Teilprojekte: die Aufwertung der Dachbrache zur Dachoase und die Umdeutung des Erschliessungshofs zum Wohnhof. Beide bauen auf den vor Ort bestehenden Potenzialen und Materialien auf.
Die Lösung auf dem Dach ist Re-Use im besten genossenschaftlichen Geist: Die Beton-Bodenplatten, die früher Dach und Eingangshof versiegelten, wurden zu ‚Trockenmauern‘ gestapelt. Sie umfassen erhöhte Pflanzflächen mit genügend Wurzelraum für Zier- und Obstgehölze, die Schatten spenden, eine reiche Ernte versprechen und den Dachlebensraum sozial wie ökologisch aufwerten. Lücken in den Plattenmauern dienen dem Wasserabfluss und bieten pflanzlichen und tierischen Mauerritzenbewohnern Lebensraum. Hier und da sind Holzbalken als Sitzflächen in die Mauern integriert.
Auch auf dem Boden blüht das neue Leben: Hier fügen sich gemeinschaftliche Pflanzflächen, kiesige Ruderalflächen, eine Pergola, Wege und Sitzplätze aus den alten Platten zu einer verschlungenen Welt auf kleinem Raum – die sich stimmig mit dem neuen Dach-Pavillon ergänzt. Die Pflanzflächen dienen auch der Regenwasserretention – und damit nicht nur der Wasserversorgung der Pflanzen, sondern auch der Kühlung durch Verdunstung.
Der Innenhof auf Bodenebene war bislang vor allem Erschliesszungszone der Gebäude – von Auto- und Veloparkplätzen dominiert und von einer langen Mauer in eine erhöhte, unzugängliche Pflanzfläche und die vertiefte Zugangszone der Gebäude unterteilt. Neu ist er zum gestuften Belags- und Lebensraummosaik geworden. Möglich wurde das einerseits durch das Aufbrechen der langen Mauer, andererseits durch ein neues Mobilitätskonzept: Der Autoparkplatz wurde verkleinert, die Velos wurden in zwei neuen Pavillons mit je zwei Stockwerken gestapelt. Das ermöglichte einen neuen Eingangsplatz im Hof.
Innen und Aussen, Platz und "Pantoffelbar" verschmelzen zu einer lebendigen Aufenthalts- und Entréezone, die nahtlos in den Hof übergeht. Versetzte, gestaffelte Sitzmauer-Elemente aus Stampfbeton brechen hier die Trennung von unten und oben auf, schaffen zugängliche Räume auf verschiedenen Niveaus, die über kurzen Treppen und Rampen verbunden sind. Zahlreiche Bäume wurden neu gepflanzt, die Hartbeläge stellenweise aufgebrochen und mit unterschiedlichem Substrat befüllt, in dem je nach Zusammensetzung Kräuterrasen, Stauden, Kleinsträucher und Ruderalpflanzen wachsen. Kleine Sitzplätze und Terrassen sorgen für Belebung. Auf dem Dach eines der Velopavillons fand als zusätzliches Aufenthaltsangebot ein pergolabeschattetes Sonnendeck Platz.
Aus dem Bestand heraus ist ein offener Rahmen für Wachstum und Leben entstanden. Eine flexible Grundstruktur, die robust genug ist, um Wandel zu verkraften, ohne ihre Kraft zu verlieren. Weiterentwicklung und Pflege liegen nun bei der Genossenschaft. Moderiert wird der Prozess von einem erfahrenen Permakulturgärtner: dem Brachenwart der stadtbekannten, nahen Hardturmbrache.
Fotos: Thomas Haug