Wohnkolonie Zurlinden, Zürich

Freiraumplanerische Akupunktur mit Langzeitwirkung

Pragmatische Planung: Eine Handskizze war die Basis, viel Präsenz auf der Baustelle, etwa beim Auslegen der Pflanzen, zentral für das Gelingen.

In Zeiten von Verdichtung und Klimawandel haben sie besonderes Potential: freiraumplanerische Massnahmen, die das Stadtleben rasch, wirksam und niederschwellig im Kleinen verbessern. Bei der freiräumlichen Aufwertung der Wohnkolonie Zurlinden, einer 1918 erbauten Arbeitersiedlung, lag die Landschaftsarchitekturleistung vor allem darin, brachliegende Qualitäten mit einfachen Mitteln zu aktivieren. Statt einer elaborierten, doch statischen Gestaltung entstand ein lebendiger Alltagsraum, der Veränderung durch die Nutzenden nicht nur verträgt, sondern vielmehr von ihr profitiert. Entstanden ist so auch ein neues landschaftsarchitektonisches Bild, das gleichsam mit dem geplanten Zufall spielt: Der „verkrautete Hinterhof“.

Chronologie
Direktauftrag 2020; Fertigstellung 2023
Bauherrschaft
Amt für Hochbauten, Stadt Zürich
Zusammenarbeit
Velodach: Bischof Föhn Architekten

Am Anfang stand ein so einfacher wie wichtiger Auftrag: Die stadtökologische und stadtklimatische Ertüchtigung der Freiräume der denkmalgeschützten Siedlung. Der zur öffentlichen Fritschiwiese hin offene Asphalthof sollte entsiegelt, das Dachwasser der Siedlung vor Ort versickert werden, die Vorgärten der drei Blockränder – und mit ihnen der Strassenraum – waren aufzuwerten. Doch die Analyse zeigte, dass gerade im Hof mehr Potenzial schlummert. Nämlich, eine menschenleere Asphaltwüste mit wenig Aufwand zur nutzbaren Siedlungsoase zu machen. Die Stadt als Bauherrin war schnell überzeugt – auch vom pragmatischen Vorgehen, eine kraftvolle Idee mit einer einfachen Handskizze als Plangrundlage und viel Präsenz auf der Baustelle umzusetzen.

Das Problem als Teil der Lösung

Zwei Herausforderungen waren im Umgang mit dem kargen Hof zu meistern: Erstens galt es das landschaftsarchitektonische Bild zu finden, das der Sachlichkeit der ehemaligen Arbeitersiedlung, die auf schlichtes, preiswertes Wohnen ausgelegt war, denkmalpflegerisch gerecht wird und zugleich heutige Anforderungen an Biodiversität, Klima und Nutzbarkeit erfüllt. Zweitens galt es zu klären, von wem der Hof genutzt werden soll und darf. Denn die fehlende Zonierung machte ihn zu einem anonymen Durchgangsort, in dem sich weder die Anwohnerschaft noch die Öffentlichkeit der Fritschiwiese heimisch fühlte. Beide Lösungen, jene zur Zonierung und jene zum Hofbild, schöpfen aus dem Bestand und leben von dessen zeitgemässer Umdeutung. Die gestalterischen Themen dieses Hofes wurden letztlich zum Leitbild für alle Freiräume – auch jene an der Strasse.


 
 

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Die Fotografin und Anwohnerin Verena Nelles-Kempf dokumentierte aus Freude über die Begrünung die Bauphase aus ihrem Fenster heraus. Herzlichen Dank für die Bilder!
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Vom Barockgarten zum „verkrauteten Hinterhof“?

Was das Bild betrifft, etabliert der Entwurf ein neues landschaftsarchitektonisches Thema, das in der der Tradition der Landschaftsarchitektur steht und zugleich an ihr kratzt. Denn es ist im Vergleich etwa zum Barockgarten oder zum Wohngarten der Moderne nur bei genauem Hinsehen als Landschaftsarchitektur erkennbar – und dennoch mehr als das gängige Wachsen-Lassen von Ruderalflächen, wie sie aktuell vielerorts entstehen. Der „verkrautete Hinterhof“ als gestaltetes Gartenbild ist die logische heutige Schlussfolgerung aus der Typologie des sachlich-funktionalen Hofs, der in einer Zeit extremer Wohnungsnot entstand:

Der geplante Zufall

Rund um den denkmalgeschützten Wäscheständer – eine so ungewöhnliche wie praktische Kipp-Konstruktion aus der Entstehungszeit des Hofes – und den neuen Velounterstand mit dem facettierten Dach von Bischof Föhn Architekten wurde der Asphalt im Hof durch sickerfähigen Kies ersetzt. Eine unterirdische Rigole stellt auch bei Starkregen die nötige Versickerungsleistung sicher.

Die Pflanzungen im Kies wirken in ihrer Formensprache und nahtlosen Integration in die Fläche wie spontaner Aufwuchs. Doch in der Artenwahl – von Oregano und Salbei über Gräser, Felsenbirne und Wildrose bis zur Clematis an der Dachrinne und der Hortensie im Vorgarten – sind gärtnerisches Handwerk und gestalterischer Wille spürbar. So changiert der Hof in der Wahrnehmung zwischen verwildertem Garten und kultivierter Brache.

Ebenso subtil und nicht minder wirksam sind die zonierenden Massnahmen am Übergang zur Fritschiwiese: Eine niedrige Hecke aus Strauchefeu ergänzt den historischen Brunnen und die ihn flankierenden alten Bäume. So entsteht eine transparente Übergangszone, die nicht nur öffentlich und privat voneinander abgrenzt, sondern auch den schattigen Platz rund um den Brunnen in Wert setzt und nutzbar macht.

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Eine zeitgemässe Form der Sachlichkeit

Heute ist die neue Haltung zum Freiraum in der Wohnkolonie Zurlinden schon von aussen wahrnehmbar. Wo bislang Asphalt und Abstandsgrün-Tristesse vorherrschten, locken nun bunte Vorgärten Insekten an, machen die Strasse attraktiver, betonen dank der Höhenstaffelung der Kleingehölze Eingänge und schützen private Räume vor Einblicken. Den begrünten Hof haben die Anwohnenden längst in Besitz genommen und um Tische, Bänke und Pflanzgefässe ergänzt. Der Strassenraum blüht, der Hof lebt – die neue Gestaltung und räumliche Ordnung wirkt!

Fotos fertige Anlage: Thomas Haug
Fotos Bauphase: Verena Nelles-Kempf