Baar Süd, Etappe 1

Wenn die Stadt aus der Landschaft wächst

Die Elemente der Landschaft geben die Themen der Siedlung vor: Bewachsener Entwässerungsgraben im Hintergrund, Bahnlinie im Vordergrund

Das Unterfeld an der Grenze von Baar zur Stadt Zug erzählt ein typisches Stück Landschaftsgeschichte der Schweiz. Und auch ein typisches Stück Siedlungsgeschichte der Schweiz. Es erzählt von der Trockenlegung der Moore, von Be- und Zersiedlung – und künftig zudem von sozial und ökologisch durchdachter Verdichtung.

Chronologie
Wettbewerb 2021, 1. Rang Landschaftsarchitektur; 2021 Vorprojekt ; 2022 Richtprojekt
Bauherrschaft
Implenia Immobilien AG
Zusammenarbeit
Landschaftsarchitektur Wettbewerb: ORT AG für Landschaftsarchitektur; Landschaftsarchitektur Projektierung und Umsetzung: ARGE ORT/Appert Zwahlen (Cham); Architektur: Enzmann Fischer Partner, Zürich ; Verkehr: Teamverkehr.Zug, Cham
Visualisierung Quartierboulevard: Verschiedene Substrate führen zu verschiedenen Bewuchstypen

Neues Stadtstück von landschaftlicher Dimension

Eine neue Bebauung mit zugehörigem Parkraum soll die bauliche Lücke zwischen Baar und Zug mit hochwertigem Lebensraum füllen, das Gebiet an die Stadtbahn anbinden und dabei auch den langfristigen Ausbau der Bahnlinie mit der neuen Haltestelle Lindenpark berücksichtigen Die Freiraumgestaltung strickt die Geschichte der Siedlungslandschaft auf ungewöhnliche Weise weiter: Aus den Relikten des Moors und den Strukturen der Bahnlinie entwickelt sie das räumliche Raster und das gestalterische Muster eines neuen Stadtstücks im Wandel – entlang der Freiräume, die den flexiblen, gesellschaftlichen und ökologischen Kitt von Baar Süd bilden.

Das Formenspektrum der Landschaftsgeschichte

Im Osten des Unterfelds liegt die Bahnlinie: lineares Infrastrukturelement und wertvolles Trocken-Ökosystem in einem. Geleise und Strassen liegen im Unterfeld auf erhöhten Dämmen, weil der Riedboden nicht ausreichend tragfähig ist. Als Geometrische, kiesig-trockene Hügel, auf denen neben seltenen Pflanzen Gartenflüchtlinge wie das Löwenmäulchen blühen, durchziehen sie die Landschaft. Nach Westen breitet sich die grüne Ebene des ehemaligen Moors aus: Begradigte Bäche und Relikte alter Entwässerungsgräben, weithin erkennbar durch die Bäume und den üppigen Bewuchs an ihren Ufern, ziehen ihre irritierend geraden Linien durch offene Wiesenflächen. Im Norden und Süden liegen die wachsenden Siedlungskörper, die nun um zwei weitere, mächtige Baufelder in die Ebene erweitert werden sollen. Dieses Formenrepertoire bildet das freiräumliche Themenspektrum des neuen Stücks Siedlungslandschaft. 

Den Masterplan mit Inhalt anreichern

Der Masterplan gab die Grundstrukturen und Freiraumtypologien für die Siedlungserweiterung vor: Die "Parkspur" im Süden; den Platz am Übergang von den Baufeldern zum Park; den alles verbindenden Boulevard im Zentrum; die Bahnpromenade und die Veloschnellroute im Osten mit den temporären Freiräumen im Bereich des künftigen Bahnausbaus. Der Freiraumentwurf von ORT, der 2021 die Jury überzeugte und nun vor ORT und Appert Zwahlen gemeinsam zur Umsetzung gebracht wird, füllt diese Grundstrukturen mit überraschenden Räumen und Bildern, die sich aus dem umfassenden Verständnis der Landschaft und ihrer Geschichten ableiten.

Landeskarte 1910: Zahlreiche Feuchtgebiete prägen das Umfeld
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Entwurfsskizze aus der Wettbewerbsphase: Die bestehende Landschaft wird zur Gerüst der neuen Siedlungsfreiräume
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Schema Richtprojekt: Das Freiraumgerüst
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Schwarzplan: landschaftlicher und siedlungräumlicher Kontext
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Die Situation heute. Die Spuren der Bahn und die Spuren des Rieds waren wegweisend für die Gestaltung der künftigen Freiräume im neuen Quartierstück. Foto oben: Annett Landsmann
Parkspur: Situation
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Parkspur: Schnitt
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Bahnpromenade: Situation
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Bahnpromenade: Schnitt
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Stampfiplatz: Situation
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Das Regenwassermanagement  wurde über das gesamte Areal hinweg gedacht. Links: Versiegelung; Mitte: Retentionsvolumen; Rechts: Regenwasserrückhalt in Ausnahmesituationen
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Das Regenwassermanagement ist im Entwurf mehr als eine technische Lösung: Als Standortfaktor verstanden und eingesetzt, wird es auch zum gestalterisch prägenden Aspekt.
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Stadtbiotope für Stadtpioniere

Die Strukturen des Moors werden zum Thema des Parks: Das Netz der Erholungsangebote und der Fusswege folgt den Spuren Stampfibachs und der Entwässerungsgräben. Die gestaltete Parknatur ist auch ein partielles "Zurück zur Ried-Natur" des Ortes: Im Bereich der Gräben und des Bachs wird dieLandschaft wieder zur Wasserlandschaft, stellenweise der Natur vorbehalten, stellenweise für Spiel und Erholung zugänglich und mit ihren wechselfeuchten Mulden nicht zuletzt auch ein wichtiges Retentionsvolumen der Siedlung bei Starkregen.

Auf dem Stampfiplatz trifft die Welt der Gleise mit ihren kiesigen Böden auf jene der ehemaligen Riedlandschaft mit ihren tiefgründigen Böden und verwebt sich zu einem vielfältigen Platz-Mosaik. Eichen bilden das Blätterdach, darunter wechseln sich bewachsene Schollen aus veschiedenen Kiesen, Schottern, erdigen Substraten mit befahr- und begehbaren Kies- und Asphaltflächen ab. Das Substratmuster bestimmt auch das Muster des Bewuchses: hier magere Trockenrasen, dort üppig blühende Hochstaudenfluren und in den Senken, wo auch das anfallende Oberlächenwasser gesammelt wird, die besondere Flora wechselfeuchter Standorte. So entsteht ein blühender Platz, durchgängig, einladend und lebendig.

In ähnlicher Weise abstrahiert die Bahnpromenade mit Bändern aus Gleisschotter, Sträuchern und Pflanzungen die Themen der Gleiswelt und zoniert den Raum: zu einem Verkehrs- und Begegnungsraum, der die Fussgänger an den Erdgeschossnutzungen vorbei und die Velos entlang der Gleise führt. Zwischen den Bändern liegen Nischen für Ruhe, für spontane und temporäre Nutzungen. Alle Räume führen zur zentralen Achse: dem Quartierboulevard. In ihrem Zusammenspiel ergeben sie ein buntes Biotop – für die Pioniere der Gebäudenutzung und Pioniere aus der Pflanzenwelt.

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Sukzession – Disruption – Gestaltung

Es sind die Details, die aus dem Austauschbaren das Spezifische aus dem Minimalismus der Elemente stimmige siedlungsräumliche Komplexität machen: die Schollen aus Ruderalflächen, die zusammen zum Platz werden; die Gartenflüchtlinge auf den Erdmieten – länglichen, temporären Erddepots an den Gleisen –, die opulente Blütenteppiche zwischen die magere Vegetation legen; die temporären Baumdächer aus schnellwüchsigen, kurzlebigen Pappeln im Bereich des längerfristig geplanten Bahnausbaus, die rasch Räume bilden; die langlebigen Eichen auf dem Platz, die gross genug sein werden, deren Rolle zu übernehmen, wenn die Pappeln weichen müssen; unerwartete Nischen im Stadtgefüge wie der verborgene Baumplatz zwischen den Neubauten; und nicht zuletzt die positive Umsetzung technischer Notwendigkeiten wie der Entwässerung als gestalterisches Element.